Von mehr als 300 Beschäftigten aus zwei Banken nimmt etwa jeder und jede Zweite mindestens einmal pro Woche in der Freizeit arbeitsbezogene Anrufe an, schreibt E-Mails oder liest Kurznachrichten. Dies ergaben Interviews und eine Online-Befragung des Projektes „MASTER – Management ständiger Erreichbarkeit“, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gefördert und fachlich von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) begleitet wird.
„Der Vergleich mit Umfragen in der IT-Branche zeigt, dass die Erreichbarkeit in den beiden untersuchten Banken noch in den Kinderschuhen steckt“, so die Psychologin Dr. Nina Pauls vom Projektteam der Universität Freiburg. „Dies wird beispielsweise deutlich am eher geringen Zeitaufwand, der für die Kontaktanfragen in der Freizeit aufgewendet wird.“ Bezeichnend für den Bankensektor seien aber die seit Jahren zunehmenden Dokumentations- und Aufklärungspflichten, ein steigender Wettbewerbsdruck sowie die Schließung von Filialen und eine zunehmende Verdichtung der Arbeit durch den Wegfall von Personal. Somit scheint absehbar, dass Forderungen nach Erreichbarkeit und Flexibilität der Mitarbeitenden in den nächsten Jahren zunehmen werden.
„Wir ermöglichen mit einer Dienstvereinbarung zum ‚mobilen Arbeiten‘ demnächst mehr Flexibilität bei der Wahl von Arbeitszeit und Arbeitsort. Das erhöht unsere Attraktivität als Arbeitgeber und wir erreichen trotzdem die Berücksichtigung der betrieblichen Notwendigkeiten“, so Oliver Mebus, Vorstandsvorsitzender der Stadtsparkasse Oberhausen, die sich am Projekt MASTER beteiligt. „Wir möchten die Beschäftigten in diesem Prozess begleiten und mit ihnen erarbeiten, wie beispielsweise der Umgang mit Kontaktanfragen in der Freizeit zukünftig aussehen kann“, ergänzt Vorstandsmitglied Thomas Gäng.
In zwei Workshops erarbeiteten Beschäftigte der Stadtsparkasse Oberhausen mit Forschenden der Universitäten Freiburg und Hamburg Spielregeln für Erreichbarkeit. Obwohl viele der Beteiligten bislang kaum mit Erreichbarkeit konfrontiert sind, gelang es, Gestaltungsvorschläge zu formulieren. „Wir möchten Regelungen entwickeln, welche E-Mails wirklich notwendig sind und an wen wir diese verschicken“, so eine Teilnehmerin. „Außerdem wollen wir im Team klären, wer wann für Anfragen in der Freizeit erreichbar sein möchte und wer nicht.“ Ziel ist es außerdem, die hohe Belastung so zu reduzieren und den Tag so zu gestalten, dass die Aufgaben in der eigentlichen Arbeitszeit erledigt werden können.
Beschäftigte mit speziellem Wissen sollen durch Prozessbeschreibungen und Wissensweitergabe entlastet werden. Falls es doch einmal zu Mehrarbeit in der Freizeit kommt, sollen diese Zeiten ausgeglichen werden. Zur Umsetzung wird ein „Kulturwandel“ angestrebt: „Wir müssen Ideen entwickeln, wie wir die erarbeiteten Regelungen und Vorschläge greif- und erlebbar machen. Dazu sollten wir neue Wege gehen; vielleicht mit Testimonials von Beschäftigten oder einem hauseigenen ‚Knigge‘, der arbeitsbezogene Umgangsregeln beinhaltet“, so Thomas Zimmermann, Personalratsvorsitzender der Stadtsparkasse Oberhausen, der selbst als Teilnehmer bei einem Workshop dabei war.
Ob der Balanceakt zwischen der Einhaltung von Regularien und mehr Flexibilität für die Mitarbeitenden gelingt und ob die erarbeiteten Maßnahmen wirksam umgesetzt werden, überprüfen eine weitere Online-Befragung und Gruppendiskussion im Herbst 2019. Als Abschlussprodukt werden die Ergebnisse der Banken mit Ergebnissen früherer Unternehmensfallstudien verglichen. Das Projekt MASTER stellt für interessierte Unternehmen außerdem Handreichungen zur Durchführung einer Beschäftigtenbefragung zu Erreichbarkeit sowie von Workshops zur Gestaltung von Erreichbarkeit zur Verfügung.